VERBLONSHEN

Die Künstlergruppe “verblonshen” wurde 2011 als Gesellschaft zur Erhaltung des “Dschagannath-Wagens” gegründet. Der Name der Künstlergruppe leitet sich von einer Wortneuschöpfung aus dem jiddischen Verb ‚far blondzhen‘ ab, was so viel heißt wie ‚sich verlaufen‘ oder ‚vom Weg abkommen‘. „verblonshen“ beschäftigt sich in verschiedenen bildnerischen Medien, aber auch schreibend und denkend mit Wegen, produktiv in die Irre zu gehen.

Auf der Homepage http://verblonshen.org findet man neben einem Blog mit Gedanken und Kritiken zu aktuellen Ausstellungen und Künstlern, auch Infos über die gemeinsamen und persönlichen Arbeiten und Projekte der Künstler/innen Ellen Wagner, Marie Saalfrank, Ruth Neumeier, Kimberly Gebert, Marvin & Christine Preuß.

Bei dem sogenannten “Dschagannath (Hindiwort für “Herr der Welt”)- Wagen”, handelt es sich um einem tonnenschweren Prozessionswagen, der einem hinduistischen Brauch nach, jedes Jahr feierlich ein Bildnis des Gottes Krjschna transportiert, aber bisweilen derart außer Kontrolle gerät, dass er zahlreiche Gläubige zermalmt, die teilweise unabsichtlich, aber auch aus religiöser Verehrung unter die Räder geraten sind. Anthony Giddens, bis 2003 Direktor der London School of Economics and Political Science und zuvor Professor der Soziologie an der Universität Cambridge in England, gebraucht die Fahrt mit diesem Vehikel als Bild für die Problemstellung der Moderne: als einer „nicht zu zügelnde(n) und enorm leistungsstarke(n) Maschine, die wir als Menschen kollektiv bis zu einem gewissen Grade steuern können, die sich aber zugleich drängend unserer Kontrolle zu entziehen droht und sich selbst zertrümmern könnte.“ Der Glaube an die Wunderwerke des stetigen Fortschritts der Geschichte, die uns immer mehr Freiheit, Gerechtigkeit oder Vernunft bescheren würde, oder an die Verheißungen der wissenschaftlichen und technologischen Entwicklung verkehrte sich in sein Gegenteil: die Angst davor, dass die entfesselten Kräfte des Fortschritts sich in desaströsen Ereignissen entladen. Ob es sich um Kernschmelze, Eurokrise oder Kunstprojekt handelt – diejenigen auf dem Wagen sind am Ende nicht besser dran, als die, die sich in weiser Voraussicht bereits unter die Räder geworfen haben.

Der Dschagannath-Wagen ist zwar schwierig, aber darum nicht unmöglich zu kontrollieren. Deshalb sollten wir einfach mal sitzen bleiben – vielleicht nicht gerade auf der hinteren Ladefläche oder dem Platz neben dem Fahrer (bekanntermaßen ist ja das Todesrisiko auf dem Beifahrersitz am höchsten), sondern lieber gleich selbst am Steuer. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir den Karren permanent an die Wand fahren, ist hoch. Doch die Erhaltung des Dschagannath-Wagens bedeutet weder die Erhaltung des destruktiven Moments noch den zum Scheitern verurteilten Versuch, jegliches Risiko zu vermeiden, sondern die Verhinderung eines Totalschadens bei gleichzeitiger Beschleunigung auf Maximalgeschwindigkeit.